Härtsfeldbahn-Anzeiger

Ausgabe2/1997

25 Jahre Härtsfeld ohne Bahn

Vor einem Vierteljahrhundert wurde die Härtsfeldbahn stillgelegt. Am 25. April 1972 stellte die Württembergische Nebenbahnen GmbH (WN) den Antrag auf Entbindung von der Betriebspflicht, der am 19. September genehmigt wurde. Der Personenverkehr wurde am 30. September, der Güterverkehr am 30. November eingestellt. Die fehlende Wirtschaftlichkeit war der letztendliche Grund, doch bis es dazu kam, waren viele - oft unauffällige - Ereignisse notwendig.

Ausschlaggebend war das Kassendefizit

Von 1968 bis 1971 betrug der Substanzverzehr der Härtsfeldbahn 182.000,- DM, das Kassendefizit belief sich auf 313.000,-DM. Für das laufende Jahr 1972 erwartete man ein Kassendefizit von 300.000,- DM.
In der Presse konnte man teilweise überhöhte oder falsch interpretierte Zahlen finden. Aus 300 Tausend wurden so schon mal 300 Millionen Deutsche Mark.
Zeit ihres Bestehens erhielt die Härtsfeldbahn immer wieder Zuschüsse zur Deckung des entstehenden Defizits. Abgesehen davon konnten Defizite durch Gewinne bei den beiden anderen WN-Bahnen ausgeglichen werden.
Die Situation 1972 war alarmierend, da trotz Zuschüssen eine Deckungslücke von 155.000,- DM erwartet wurde.
Der Grund wurde zum einen im Rückgang des Personen- und Güterverkehrs und damit im Rückgang der Betriebseinnahmen und zum anderen in den stetig steigenden Unterhalts- und Personalkosten gesehen. Ganz unschuldig an dieser Entwicklung war die WN jedoch nicht.

Die WN war der Straßenkonkurrenz nicht gewachsen


Im Personenverkehr stand die WN seit den frühen sechziger Jahren in Konkurrenz mit den privaten Omnibus-Betreibern Beck & Schubert (Ebnat), Stricker (Gundelfingen) und Wahl und Söhne KG (Heidenheim). 1962 entstand ausgerechnet auf dem sowieso schlecht ausgelasteten Teilabschnitt Aalen - Ebnat eine Konkurrenzsituation durch Einführung einer Omnibusringlinie. Zwei Jahre später ließ die WN die Einführung einer Omnibuslinie Aalen - Neresheim durch Beck & Schubert zu. Als Folge davon wurde der Personenverkehr zwischen Aalen und Neresheim stark ausgedünnt. Ab 1971 gab es an Werktagen keinen Personenverkehr mehr. Die WN verlor auf diese Weise etwa 150.000 Personentransporte pro Jahr.
Nicht viel anders sah es auf der Teilstrecke Neresheim - Dillingen aus. 1969 richtete man hier mit Bussen der WN-Kraftverkehrsgesellschaft einen Parallelverkehr ein. Die Gewinne aus dem Omnibusverkehr wurden nicht zur Kompensation des sich aus dem Bahnbetrieb ergebenden Kassendefizits verwendet.

Den Rückgang des Güterverkehrs konnte die WN ebenfalls nicht aufhalten. 1963 entfiel der größte Frachtkunde: Die Härtsfeldwerke wurden stillgelegt. Die Ansiedlung eines neuen Betriebs gelang nicht.
In Wittislingen erhielt die Firma Risse Kalk nicht mehr von Ulm-Ehrenstein per Bahn, sondern von Günzburg auf der Straße. Der Düngemittel-Transport erfolgte mittlerweile mit modernen Silo-Lastern. Auch der Zuckerrübentransport wurde auf die Straße verlagert. Holztransporte bleiben aus. Neue Frachtkunden konnten trotz Anstrengungen nicht gewonnen werden.

Der Tourismus kam zu spät


Der zentrale und einzigartige Anziehungspunkt, die Klosterkirche der Benediktinerabtei Neresheim wurde 1966 wegen notwendiger Renovierungsmaßnahmen gesperrt. Der Härtsfeldsee war erst im Entstehen begriffen.
Die Gründung des Verkehrsverbands "Gastliches Härtsfelds" am 18. September 1970 erfolgte für die Härtsfeldbahn zu spät. Die Entwicklungsaufgabe "Erhaltung der Härtsfeldbahn - Aktivierung der Bahn für Betriebsausflüge u.ä. - Einrichtung eines Picknickplatzes an der Bahnstrecke (Kalkwerk, Brünstholz)" sprühte nicht gerade von Ideenreichtum. Die große Zeit der Betriebsausflüge war vorbei. An den Betrieb eines Dampfzugs dachte man damals noch nicht.

Kostspielige Unterhaltung

Obwohl seit 1956 ein Großteil der Strecke durch Zuschüsse Baden-Württembergs und Bayerns erneuert worden war, bestanden auf Teilabschnitten nach wie vor schwerwiegende Mängel am Oberbau. Die Höchstgeschwindigkeit war auf längeren Abschnitten auf bis zu 10 km/h herabgesetzt. Trotz hoffnungsvoller Ansätze war es offensichtlich nicht gelungen, eine konkurrenzfähige Infrastruktur zu schaffen.

Schwierige Personalsituation

Die Anhebung der Gehälter und Löhne um ca. 16,7 % in 1971 war ein schwerer Schlag für die WN. Obwohl zwischen 1964 und 1972 der Personalbestand von 46 auf 27 reduziert worden war, betrugen 1972 die Personalkosten 153,5 % der Betriebseinnahmen.

Streichung von Zuschüssen

Der Haushaltsplan 1967 des Landes Baden-Württemberg sah eine sehr starke Reduzierung der Fördermittel für das Härtsfeld vor. Die bei der Härtsfeldbahn entstehende Lücke wurde durch Zuschüsse der Kreise Aalen, Heidenheim und Dillingen sowie der Stadt Dillingen verringert. Trotz zahlreicher Vermittlungsversuche stellte der Kreis Heidenheim 1971 keine weiteren Mittel für die Zahlung eines Betriebszuschusses bereit.

Buchhaltungstricks?

Investitionen erhöhten den Verlust und damit die Chance, weitere Zuschüsse einzufordern. Die Notwendigkeit der getätigten Investitionen ist heute nicht mehr nachzuweisen. Wiederverwendbares Material wurde nach der Stilllegung an andere Bahnen in Württemberg verteilt. Damit kamen die Zuschüsse nachträglich anderen Bahnen zugute.

Phantasien oder: Die Härtsfeldbahn ist im Weg

Nach dem Motto "Was könnte man nicht alles machen, wenn da nicht die Härtsfeldbahn wäre" entstand in der Öffentlichkeit ein Bild, das die Härtsfeldbahn als hemmend für den Fortschritt darstellte. War es in Aalen das Thema Containerbahnhof, so glaubte man auf dem vorderen Härtsfeld an den schnellen Bau der Autobahn und in Bayern schließlich träumte man von einer Magnetschwebebahn.

Ein Gutachten als Schlußstrich

Am 31. August 1972 legte Dipl.-Ing. Albrecht Zahn ein Gutachten über die wirtschaftliche Situation vor. Dieses bestätigte, was man ohnehin schon wußte: weitere Kostensenkungen waren nicht möglich und "Die Aussichten auf eine ... Steigerung der Einnahmen müssen ... als unwahrscheinlich bezeichnet werden." Das Fazit war: "Bei der aufgezeigten Sachlage wird man mit der Genehmigung des Antrags der WNB durch die Landesregierung rechnen müssen."
Dieses Gutachten erfüllte seinen Zweck. Es muß jedoch angezweifelt werden, da es nicht aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erstellt wurde. Aussagen darüber, welche Auswirkungen eine Stilllegung der Bahn haben würde, wurden nicht getroffen. Daß durch die entfallenden Arbeitsplätze, die Notwendigkeit zum Straßenausbau, kostspieligere Lkw-Transporte und die Abwanderung von Industriebetrieben der Öffentlichkeit mehr Kosten entstanden, kann heute nur vermutet werden. Neresheims Gemeinderat bezifferte in einer Resolution allein für die Landwirtschaft die finanzielle Einbuße pro Jahr auf rund 100.000,- DM.
Ob es die Härtsfeldbahn heute noch geben würde, wenn man sie 1972 nicht stillgelegt hätte, ist dennoch fragwürdig. Im Gegensatz zur eisenbahnfreundlichen Schweiz haben in Deutschland die kleinen Bähnchen nur als museale Einrichtung, als touristische Anziehungspunkte oder als Straßenbahn im städtischen Verkehr überlebt. Eine Umspurung auf Normalspur ist nur bei einigen wenigen Strecken mit unterschiedlichem Erfolg vorgenommen worden.

Jürgen Ranger


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[ Letzte Aktualisierung 11.07.97 Gerald Stempel ]